Über Rheinmetall

Der nachfolgende Text »Waffen für die Welt« von Otfried Nassauer ist eine Zusammenfassung zum deutschen Rüstungskonzern Rheinmetall. Der Artikel erschien zuerst im Atlas der Globalisierung, April 2019.

Im März 2023 erschien ein weiterer Text zu Rheinmetall von dem Autoren Werner Rügemer. Er ist hier und hier zu finden.

Schon in den 1980ern stand Rheinmetall wegen illegaler Rüstungsexporte in der Kritik. Der Konzernvorstand wurde verurteilt. Dazu erschien das Buch von Annette Hauschild und Helmut Lorscheid: Ermittlungen gegen Rheinmetall. Rüstungsexporte vor Gericht. Forum Europa Verlag, 1987 (Download, pdf, 12 MB)

Waffen für die Welt

Rheinmetall nutzt Lücken des deutschen Ausfuhrrechts, um Munition in Länder der Golfregion zu liefern

Ohne Munition kein Krieg. Rheinmetall, der größte in Deutschland ansässige Rüstungskonzern, betrachtet sich als weltweit drittgrößter Produzent für Munition ab 20 Millimeter Durchmesser. Auf die deutschen Rüstungsexportgesetze hat sich der Konzern gut eingestellt. Er nutzt die Lücken des deutschen Ausfuhrrechts, um es geschickt zu umgehen. Über Töchter und Gemeinschaftsfirmen im Ausland, die über eigene Technologierechte verfügen, beliefert Rheinmetall Länder, für die in Deutschland nur schwer oder gar keine Exportgenehmigung zu bekommen wäre – Länder, die wie Saudi-Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate im Jemen Krieg führen. Beide erhalten aus dem Rheinmetall-Konzern viel Munition und sogar komplette Munitionsfabriken. Der Konzern bezeichnet sein Vorgehen als Strategie der Internationalisierung. Zwei Firmen stechen besonders ins Auge.

2010 erwarb die Rheinmetall Waffe Munition GmbH (RWM) den kriselnden italienischen Munitionshersteller S.E.I. mit Werken im norditalienischen Ghedi und in Domusnovas auf Sardinien. Die Firma wurde in die RWM Italia S.p.A. umgewandelt. Sie stellt konventionelle und insensitive (feuer- und stoßsichere) Sprengstoffe her, produziert Marinemunition und – als derzeit wichtigstes Produkt – Bomben der MK80-Serie auf Basis einer US-Lizenz.

Der Umsatz dieser italienischen Tochter stieg seither sprunghaft, von 11 Millionen Euro 2011 auf über 90 Millionen Euro 2017. Das ist überwiegend Exporten auf die Arabische Halbinsel geschuldet. Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) führen seit 2015 im Jemen Krieg und haben deshalb einen enormen Bedarf an Bomben, Lenkwaffen und deren Komponenten. RWM Italia hilft, diesen Bedarf zu decken. Seit Ende 2012 erhielt die Firma mindestens drei große Aufträge zur Belieferung Saudi-Arabiens im Gesamtwert von deutlich mehr als 500 Millionen Euro.

RWM Italia beliefert Saudi-Arabien seit 2016 direkt mit knapp 20.000 Bomben der Modelle MK82, 83 und 84 (500 bis 2000 Pfund). Von Raytheon Systems, der britischen Tochter des drittgrößten Rüstungskonzerns der Welt, hatte man zuvor schon einen Unterauftrag aus Riad über 3650 1000-Pfund-Bomben erhalten. Seit 2015 beliefert Raytheon Systems nicht nur die britische, sondern auch die saudische Luftwaffe mit Präzisionswaffen des Typs Paveway IV. Deren Sprengkörper, Bomben des Typs MK82, liefert RWM Italia zu. Zwischen 2012 und 2017 hat die italienische Regierung die Ausfuhr von mehr als 9000 scharfen Bomben für die Paveway-IV-Produktion genehmigt – die Mehrzahl, rund 5300 Bomben, seit Saudi-Arabien mit dieser Lenkwaffe beliefert werden darf. Während die Golfmonarchie diese Waffen im Jemen nutzt, setzt die britische Luftwaffe sie zur Bekämpfung des »Islamischen Staats« im Irak und in Syrien ein.

Amnesty International, Human Rights Watch und die jemenitische Menschenrechtsorganisation Mwatana haben den Einsatz von RWM-Italia-Bomben der MK80-Serie sowie Lenkwaffen des Typs Paveway IV im Jemenkrieg auch gegen zivile Ziele dokumentiert. Eine Expertenkommission der Vereinten Nationen bestätigte deren Berichte bereits Anfang 2017 und schlussfolgerte, dass etliche Einsätze dieser Waffen substanzielle Zweifel an der Zulässigkeit nach den Regeln des Kriegsvölker- beziehungsweise des internationalen humanitären Rechts aufwerfen.

Angesichts der guten Auftragslage modernisiert und erweitert Rheinmetall derzeit seine Produktionsanlagen in Sardinien. Der Konzern will den Jahresumsatz seiner Tochter in Italien bald auf mehr als 100 Millionen Euro pro Jahr steigern.

Das zweite Beispiel: 2008 erwarb RWM nach dreijährigen Vorgesprächen einen 51-prozentigen Anteil an der Munitionssparte des staatlichen südafrikanischen Rüstungskonzerns Denel und überführte diesen Bereich in die neue Gemeinschaftsfirma Rheinmetall Denel Munitions (Pty) Ltd. (RDM). Die Produktion an den vier südafrikanischen Standorten wurde sukzessive auf Nato-Standards umgestellt und fortlaufend modernisiert. Wenig später kauften RWM und RDM zusammen in Südafrika den Zünderhersteller Laingsdale Engineering Ltd., unter anderem um komplette Munitionssysteme anbieten zu können.

RDM hat ein breites Spektrum an Standardmunitionen für Land-, See- und Luftstreitkräfte im Angebot, darunter Handgranaten, Granaten, Mörser- und Artilleriemunition, Geschosse für Schiffskanonen und Bomben der MK80-Serie. Hinzu kommen Treibmittel und Treibladungen sowie Antriebe und Sprengköpfe für Lenkwaffen von Denel. RDM verfügt über eine eigene Munitionsentwicklung und beschäftigt, je nach Quelle, bis zu 2000 Mitarbeiter.

RDM ist für viele Produkte nicht auf ausländische Technologierechte angewiesen, weil das Rüstungsembargo der Vereinten Nationen während des Apartheidregimes die staatliche Rüstungsindustrie Südafrikas zwang, vieles selbst zu entwickeln oder illegal zu beschaffen. Eigenentwicklungen und eine weitgehende technologierechtliche Autarkie waren die Folge – gerade auch im Munitionsbereich.

Durch diese Neuerwerbungen konnte Rheinmetall seine Palette lieferbarer Munitionen deutlich erweitern und verfügt heute über etliche Munitionen, bei denen die Technologierechte nicht in Deutschland liegen. Das Joint Venture in Südafrika eröffnet dem Konzern die Möglichkeit, sich auch um lukrative Exportaufträge in Ländern zu bemühen, für die in Deutschland nur geringe Aussicht auf Exportgenehmigungen bestehen wurde – vor allem, aber nicht nur im Nahen Osten und in Nordafrika. Schon bei der Gründung von RDM hatte der Konzern klargemacht, dass er sich von Südafrika aus genau diese problematischen Märkte erschließen wollte.

Finanziell ging die Rechnung auf. Der ehemalige Rheinmetall-Manager Andreas Schwer erwähnte 2017 in einem Interview, dass sich die Verkäufe von RDM mittlerweile versechsfacht hätten. Der deutsche RDM-Geschäftsführer, Norbert Schulz, nannte das Engagement in Südafrika schon 2014 »die beste Geschäftsentscheidung, die Rheinmetall in den letzten 20 Jahren getroffen hat«.

Südafrika hat sich auch deshalb als »guter« Standort erwiesen, weil es zwar auf dem Papier eine stringente Rüstungsexportpolitik verfolgt, in der Praxis Genehmigungen aber dort leicht zu bekommen sind – nicht zuletzt, weil der südafrikanische Staat meist Eigentümer oder Miteigentümer der exportwilligen Firmen ist, also an den Exporten mitverdient.

Die Ausfuhrgenehmigungen, die Südafrika für die am Jemenkrieg beteiligten VAE erteilt hat, sprechen eine klare Sprache: Genehmigt wurde seit 2013 die Ausfuhr von mehr als 400.000 Geschossen für Granatwerfer, rund 200.000 Mörsergeschossen, über 13.500 Bomben des Typs MK82 und mehreren tausend Artilleriegeschossen. Munition aus Südafrika darf auch an Saudi-Arabien, Katar und Oman geliefert werden.

Rheinmetall Denel Munitions bietet seinen Kunden jedoch nicht nur Munition an, sondern auch ganze Munitionsfabriken und Munitionsabfüllanlagen. 39 solcher Anlagen will RDM in etwas mehr als drei Jahrzehnten weltweit gebaut haben. Jedes Jahr kommen angeblich zwei bis drei weitere hinzu. Details werden nur selten bekannt, wenn es darum geht, »Munition und souveräne Produktionskapazitäten bereitzustellen«. Vier Fälle wurden öffentlich.

Seit 2008 haben Rheinmetall und RDM für eine Gemeinschaftsfirma namens Burkan Munition Systems im Emirat Abu Dhabi eine schlüsselfertige Munitionsfabrik gebaut, die Granat-, Mörser-und Artilleriemunition sowie für Artillerieraketen und Bomben der MK80-Serie fertigen soll. RWM Italia belieferte Burkan Munition Systems mit Komponenten für die Bomben der MK80-Baureihe. Aus Südafrika wird vor allem die Produktion von Heeresmunition unterstützt.

2011 bot RDM Saudi-Arabien eine ähnliche Anlage an. Diese ging 2016 in Betrieb und wird von der staatlichen Saudi Military Industries Corporation (Sami) in al-Khardsch betrieben. Das Geschäft hatte nach Medienmeldungen ein Volumen von 240 Millionen Dollar. Die nächste Anlage soll in Ägypten in Betrieb gehen. Öffentlich ist meist von einem Kunden in Nordafrika die Rede. Anfang 2018 wurde zudem bekannt, dass auch Katar zusammen mit Rheinmetall eine Munitionsproduktion aufbauen will.

Der Aufbau solcher Anlagen dient Interessen in den Empfängerländern und zugleich dem Gewinninteresse des Rheinmetall-Konzerns. Ein Teil der Wertschöpfung findet im Kundenland statt, ins Ausland fließen nach dem Bau vor allem noch Gelder für Lizenzen, technische Unterstützung beim Betrieb und zugelieferte Komponenten. Die oft autokratisch regierten Kundenländer werden so unabhängiger von der Rüstungsexportgenehmigungspolitik ihrer Lieferländer. Auch ist das Risiko, wegen Menschenrechtsverletzungen oder Kriegsverbrechen unter Druck zu geraten geringer. Zudem können die Empfängerländer eigene Rüstungsexportgeschäfte einwerben. Schließlich schaffen sich die politischen und/oder militärischen Eliten dort nicht selten auch eine zusätzliche Einnahmequelle, die sie der eigenen Bevölkerung als der wirtschaftlichen Entwicklung dienlich verkaufen können.

Die Bundesregierung wäscht bei all diesen Vorgängen ihre Hände in Unschuld. Die Zuständigkeit liege in Italien und Südafrika, da keine deutschen Technologierechte berührt seien. Die Regierung sieht aber auch keinerlei Notwendigkeit, sich für die Kontrolle des Handelns deutscher Firmen zuständig zu erklären, wo sie dies könnte: Bislang wurde keine Genehmigungspflicht für die immaterielle technische Unterstützung, zum Beispiel bei der Entwicklung von Technologierechten im Ausland oder bei der Lieferung und beim Betrieb von Rüstungsfertigungsanlagen, eingeführt. Berlin verzichtet auch darauf, auf die Gründung oder die Exporttätigkeit von Tochter- und Gemeinschaftsfirmen deutscher Unternehmen im Ausland Einfluss zu nehmen. Mehr noch: Man signalisiert stilles Einverständnis und erlaubt deutschen Firmen, passende Munitionszünder in die Golfregion zu exportieren.

Otfried Nassauer ist freier Journalist sowie Direktor des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit (BITS).